Phrygische Mütze

Während ein Hut seinen Träger überhöht, ihn also sprichwörtlich größer werden lässt, und deshalb als „Ritual-Hut“ ein Kennzeichen der Herren und Herrschenden ist, signalisiert die Mütze den niederen Stand. Ein Mythos benennt die Herkunft und Urbedeutung der phrygischen Mütze, einer spitz zulaufenden, nach vorn geneigten Kopfbedeckung: Der sagenhafte König von Phrygien, Midas I., sei von Apollo mit Eselsohren bestraft worden, weil er dem Gott in einem musischen Wettstreit widersprochen habe. (Seine kleinasiatische Dynastie hielt es zu ihrer Zeit deshalb für hohen Ruhm, von einem Esel abzustammen: Midas wurde als Gott in Tiergestalt angebetet.) Immerhin ist der historisch kaum fassbare Midas selbst dem SPIEGEL (5/2004) einen Bericht wert, weil 2004 in Kleinasien ein Grab gefunden wurde, das das des Midas sein könnte. Damit die angewachsenen Eselsohren verborgen bleiben konnten, ließ sich, so die Legende, König Midas eine besondere Mütze anfertigen, eben die phrygische Mütze. Sie bestand ursprünglich aus einem gegerbten Hodensack eines Stieres und zeigte noch das Fell. Kennzeichen hier und bei allen Folgemodellen: Der Zipfel stand nach vorn. Trotz strengster Strafandrohungen plauderte aber der Friseur des Königs das Geheimnis aus, das sich wie ein Lauffeuer verbreitete. Vor diesem Hintergrund wurde die phrygische Mütze zum Symbol des offenen Widerspruchs gegen die Bevormundung „von oben“. Die phrygische Mütze kennzeichnet nicht nur ihre Träger als Phrygier, sondern ist auch eine „ideologische Mütze“, die ihren Träger beschreibt.

Das aufrührerische, obrigkeitskritische und oft illegale Tun des Mützenträgers wird vielfach dargestellt. Mit der phrygischen Mütze erscheinen die Amazonen, die geborenen Feinde der patriarchalischen Ordnung. Auch Paris, der Prinz von Troja, wird so dargestellt, weil er Helena mit illegalen, magischen Mitteln entführt hat. Die Altarbilder in den römischen Mithräen zeigen den Stiertöter Mithras mit phrygischer Mütze.

Entwicklungsfähige Symbolmütze


Zur Zeit der Etrusker gelangte die Symbolmütze als Zeichen freiheitsbewusster Lebenshaltung nach Italien. In der Renaissance weitete sich die symbolische Bedeutung auf zwei weitere Kopfbedeckungen aus: die Baskenmütze und das Barett. Sie wurden zum Standeszeichen der von Natur aus liberalen Künstler.

Typisch für alle diese Mützen: Beim Grüßen werden sie nicht – wie ein Hut – gelüftet. Im Gegenteil: Man zieht diese Mütze vor niemandem ab – es sei denn vor dem Herrgott in seiner Kirche. Der asymmetrische Sitz von Baskenmütze oder Barett betont den provozierenden Charakter dieser Kopfbedeckung. Sowohl der Hut (vgl. z. B. Thomas Mann als typischen Herrenhutträger) als auch die Baskenmütze (vgl. z. B. Heinrich Böll als typischen Mützenträger) verdeutlichen den geistigen Standort ihres Trägers.

Im Altertum kennzeichnete die phrygische Mütze vor allem die Herkunft des Bemützten aus Kleinasien oder seinen Stand: die Zugehörigkeit zur Priesterkaste der Meder. Im Zusammenhang christlicher Ikonographie taucht die phrygische Mütze deshalb zuerst in Verbindung mit den Heiligen Drei Königen auf. Weil die bei der Geburtserzählung Jesu erwähnten Magier aus dem Osten kamen, erhielten sie – ehe sie in den Legenden zu „Königen“ wurden und damit zu goldenen Kopfbedeckungen kamen – phrygische Mützen; so zu finden auf Sargreliefs im 3. und 4. Jahrhundert und auf dem berühmten Mosaik in Ravenna aus dem 6. Jahrhundert. Als der heilige Nikolaus während der Aufklärung zum bösen Nikolaus säkularisiert wurde – zum Beispiel durch Heinrich Hoffmann im Struwwelpeter (1847) – verlor er seinen kompletten bischöflichen Ornat, der durch einen roten Mantel und eine rote phrygische Mütze ersetzt wurde. Während alle anderen Kennzeichen des Nikolaus verloren gingen, als er in Nordamerika zum Santa Claus und dann zum Father Christmas oder Weihnachtsmann mutierte, blieb ihm die rote phrygische Mütze als Hinweis auf seine kleinasiatische Herkunft erhalten. Auch die in Zwergform geklonten Mini-Weihnachtsmänner, die „Little Helpers“, tragen rote phrygische Mützen. Ebendieses Kennzeichen ist auch den „echten“ Gartenzwergen eigen, den jüngsten Abarten des Heiligen aus der heutigen Türkei.

Kasperle mit Plümmelmütze


Auch als Kaspar zum Kasperle wurde, verlor er die Krone und erhielt die – im rheinischen Slang gerne so genannte – Plümmelmütze, eine spitz zulaufende Mütze, meist mit einer Quaste am Ende. Auch diese Mütze hat Züge der phrygischen Mütze, wenn der Plümmel nicht hinten, sondern den Naturgesetzen widerlaufend, nach vorn, auf der Brust, hängt. Der deutsche Michel, seit dem 18./19. Jahrhundert gern verschlafen mit einer Nachtmütze abgebildet, kann mit einer phrygisch anmutenden Mütze nach dem Muster des Kasperle durchaus forsch aussehen.

Die Symbolik der phrygischen Mütze war auch für die Jakobiner im aufrührerischen Frankreich des 18. Jahrhunderts noch aussagekräftig. Sie übernahmen die Mützenform für ihre Jakobinermütze, die zur Kopfbedeckung der an der Französischen Revolution Beteiligten wurde. Als bei der Neubelebung der Fastnacht nach 1827 eine einheitliche Kopfbedeckung für die Narren gesucht wurde, war diese Jakobinermütze Vorbild für die moderne Narrenkappe: zunächst ein Papierhütchen in Form der phrygischen Mütze, aus der sich dann die Narrenmütze in Schiffchenform entwickelte, die noch immer eine nach vorn geneigte Spitze aufweist. Die jüngste Gegenwart zeigt die Lebendigkeit der symbolhaften Bedeutung der phrygischen Mütze: Auch der extrem hochgestellte, nach vorn gerichtete und oft rotgefärbte Haarkamm der Punks nimmt die uralte Symbolik auf. Das neu kreierte Comic-Geschlecht der Schlümpfe trägt natürlich die phrygische Mütze; das gilt sogar für das Schlumpfinchen! Aber auch die Goldbärchen in der gleichnamigen Zeichentrickserie verfügen über einen stets aufmüpfigen Krieger, der – was denn sonst? – natürlich eine phrygische Mütze trägt.

Die durch die Heiligen Drei Könige in die christliche Ikonographie eingebrachte phrygische Mütze, die sie vor ihrer Königswürde getragen haben, hat eine beispiellose und kaum wahrgenommene Karriere gemacht, die für die Zukunft noch einiges erwarten lässt.

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