Legenda Aurea

Einleitung

(Fassung vom Beginn des 20. Jahrhunderts für den 6. Januar): Drei große Geheimnisse werden uns von der katholischen Kirche heute zur andächtigen Betrachtung vorgestellt, welche sich einst an diesem Tage, doch nicht in dem nämlichen Jahre, zugetragen haben. Das erste ist die Ankunft der Heiligen Drei Könige zu dem neugeborenen Heilande der Welt. Das zweite die Taufe Jesu Christi in dem Flusse Jordan. Das dritte die wunderbare Verwandlung des Wassers in Wein als das erste Wunder, welches Christus auf der Hochzeit zu Kana in Galiläa gewirkt hat. In diesen drei erzählten Begebenheiten hat Christus der Herr am heutigen Tage in mehreren Erscheinungen sich geoffenbart und zwar in der ersten den Heiden durch einen Wunderstern; in der zweiten am Jordan dem heiligen Johannes und einer großen Menge Volkes der Juden, durch eine vom Himmel herabrufende Stimme des himmlischen Vaters und durch Erscheinung des Heiligen Geistes in der Gestalt einer Taube; in der dritten seinen Jüngern durch das erste Wunder, welches er zu Kana gewirkt hat und nach dem Zeugnisse des heiligen Evangeliums seine Jünger bewog, dass sie an ihn glaubten. Deswegen wird das heutige Fest, welches man jederzeit als eines aus den feierlichsten des ganzen Jahres angesehen und in Ehren gehalten hat, das Fest der Erscheinung Christi genannt; das ist ein Fest, an welchem Christus, der Herr, in dem menschlichen Fleische erschienen ist und sich den Menschen geoffenbart hat. Wegen der ersten Erscheinung, welche den drei Königen als Heiden geschehen, wird es auch das Fest der Heiligen Drei Könige genannt.

Die drei Weisen aus dem Morgenlande


Der im Morgenlande neu aufgegangene Stern hatte einen weit größeren Glanz als alle anderen Sterne des Himmels; und Gott, der solchen als einen Verkündiger seiner Ankunft geschickt, hat auch innerlich die Herzen der drei Weisen also erleuchtet, dass sie klar erkannten, der durch die Weissagung des Propheten Balaam verkündigte Messias oder König der Juden sei wirklich angekommen. Diese drei Weisen oder Könige, welche gewöhnlich Kaspar, Melchior und Balthasar genannt werden, machten sich nach geschehener Erscheinung des Sternes ohne Verzug auf den Weg.

Die drei Weisen vor Herodes in Jerusalem


Der ihnen erschienene Stern vertrat die Stelle eines Wegweisers so lange, bis sie zur Stadt Jerusalem kamen; denn dort verschwand er auf einmal vor ihren Augen. Die Betrübnis, welche sie deswegen befiel, war nicht gering. Weil sie dennoch glaubten, in Jerusalem, der Hauptstadt des Judenlandes, würde der Ort und Aufenthalt des neugeborenen Königs der Juden ohne Zweifel bekannt sein, so gingen sie ohne Bedenken in die Stadt und fragten ohne Scheu: „Wo ist derjenige, der da geboren ist, ein König der Juden; denn wir haben dessen Stern gesehen im Morgenlande und sind gekommen, ihn anzubeten.“ Die Einwohner der Stadt staunten über eine so unerwartete Frage und wussten nichts zu antworten. Der Ruf von den angekommenen Weisen und ihrer Frage verbreitete sich schnell durch die ganze Stadt und kam auch zu den Ohren des Königs Herodes. Dieser, weil er ohnehin sehr herrschsüchtig war, befürchtete, er könnte durch den neugeborenen König von seinem Throne gestoßen werden. Demnach berief er die Hohenpriester und Schriftgelehrten zusammen und fragte sie, wo denn der Messias sollte geboren werden? Ihre einhellige Antwort war, dass diese Geburt nach der Weissagung des Propheten Micha in Betlehem, einer Stadt des Stammes Juda geschehen müsse. Sobald der König solches vernommen hatte, ließ er die drei Weisen zu sich kommen, befragte sie sorgfältig, wann sie den Stern, von dem sie so vieles gesprochen, gesehen, und was für Umstände sich ferner ereignet hätten. Dann sprach er zu ihnen: „Gehet nach Betlehem und forschet fleißig nach, bis ihr erfahrt, wo das neugeborne Kind ist. Wenn ihr es gefunden habt, so zeiget es mir an, damit auch ich hingehe, es anzubeten.“ Dieses sprach der arglistige König nicht mit dem Vorsatze, den neugeborenen König in Wahrheit anzubeten, sondern denselben heimlich aus dem Wege zu räumen und sein Reich zu befestigen.


In Bethlehem vor der Krippe

 

Indessen waren die drei Weisen durch das, was der König ihnen gesagt hatte, ganz befriedigt und begaben sich von Jerusalem hinweg nach Betlehem. Kaum hatten sie die Stadt verlassen, da zeigte sich wieder ihr himmlischer Wegweiser, der Stern, den sie im Morgenlande gesehen hatten, und schwebte vor ihnen her bis an den Ort, wo der neugeborene König war. Die Freude, welche sie darüber empfanden, lässt sich mit Worten nicht beschreiben. Wer kann aber begreifen, wie sehr sich diese Freude mehrte, als sie sich wirklich an demjenigen Orte sahen, wo der so eifrig von ihnen gesuchte, neugeborne König war? Dies zeigte ihnen der Stern an, der über der Krippenhöhle still stand. Die drei Weisen gingen mit unaussprechlicher Freude in den armen Stall hinein und sahen dort auf dem Schoße der jungfräulichen Mutter das göttliche Kind, welches seine Augen ganz liebreich auf sie richtete. In dem Augenblicke wurden sie innerlich von Gott erleuchtet und gänzlich überzeugt, dass dieses Kind derjenige große König, ja der eingeborne Sohn Gottes sei, der zur Erlösung der Menschen auf die Welt gekommen war. Demnach fielen sie wieder auf die Erde, beteten ihn mit gebeugten Knien und tiefster Ehrerbietung an als ihren Herrn und Gott, öffneten ihre mitgebrachten Schätze und opferten ihm dreifache Gaben, nämlich Gold, Weihrauch und Myrrhen; Gold, um zu bezeugen, dass er ein wahrer König; die Myrrhen, um anzudeuten, dass er ein wahren Mensch; den Weihrauch aber, um zu bekennen, dass er wahrer Gott sei. Der von ihnen so andächtig verehrte und angebetete Heiland der Welt wird die ihm erwiesene Ehre und überreichten Schenkungen reichlich durch innerlichen Seelentrost vergolten haben.


Nachdem nun die drei Weisen ihrer Andacht vollkommen Genüge geleistet hatten, gedachten sie ihren Rückzug durch Jerusalem zu nehmen, wie es Herodes verlangt hatte. Es erschien ihnen aber ein Engel des Herrn im Schlafe und ermahnte sie, sich nicht wieder zu diesem Könige zu begeben, sondern einen andern Weg zurück in ihre Länder zu nehmen. Dieser Ermahnung gehorchten sie und kehrten durch andere, obwohl beschwerlichere Wege wieder dahin zurück, wo sie hergekommen waren. Durch den heiligen Apostel Thomas wurden sie getauft, später zu Priestern und Bischöfen geweiht und bekehrten sehr viele zum christlichen Glauben. Ihre heiligen Leiber werden im Dome zu Köln verehrt.

Das Kirchenjahr - Superposter